Zwischen Allmacht und Ohnmacht – Narzissmus im Job

Narzissmus

© rangizzz/shutterstock

 

Wir verbringen einen Großteil unseres Tages am Arbeitsplatz. Da ist es eine enorme emotionale Belastung, wenn der Arbeitsalltag von Zwist und Spannungen durchzogen ist. Nicht selten ist der eigene Chef Auslöser solcher Probleme. Das ist insbesondere der Fall, wenn er narzisstische Züge hat. Aufgrund ihrer Eigenschaften schaffen es Narzissten sehr häufig in Führungspositionen. Mitarbeiter leiden dann unter ihnen, leben teilweise regelrecht in Angst vor ihrem Chef und wissen nicht, wie sie die Situation verbessern können. Im weiteren Verlauf erfahren Sie, wie man einen Narzissten erkennt, warum Narzissten so oft Vorgesetzte werden und wie Sie am besten mit Ihrem narzisstischen Chef umgehen, um die Situation zu verbessern.

Jeder Mensch hat ein mehr oder weniger ausgeprägtes Bedürfnis nach Anerkennung und Bewunderung. Diese Eigenschaften sind für ein gesundes Maß an Ehrgeiz und ein gesundes Selbstwertgefühl unerlässlich. Aufgrund dieser Eigenschaften können die meisten Menschen relativ konstante und befriedigende soziale Beziehungen bilden.

Aber es gibt auch Menschen, bei denen das Bedürfnis nach Anerkennung und Bewunderung durch andere übermäßig groß ist – so groß, dass es niemals befriedigt werden kann.

Woran erkennt man Narzissten?

Es ist wichtig, zwischen narzisstisch geprägten Menschen und solchen mit klinischer narzisstischer Persönlichkeitsstörung zu unterscheiden. Wenn ein Mensch Anzeichen von Narzissmus aufweist, ist das nicht gleichbedeutend mit einer klinischen Persönlichkeitsstörung. Man findet Leute mit nur einem Merkmal bis hin zur vollen Ausprägung von Narzissmus.

Narzissten zeichnen sich durch eine Anzahl folgender Merkmale aus:

  • Das Gefühl großartig und besonders zu sein. Es kommt z.B. dadurch zum Ausdruck, dass sie ihre Leistungen und Fähigkeiten übertreiben, vor anderen damit prahlen, und gleichzeitig erwarten, dass diese sie als überlegen anerkennen.
  • Mangel an Empathie, also der Fähigkeit sich in die Gedanken und Gefühlswelt eines anderen hineinzuversetzen. Deshalb verhalten sie sich oft ausbeuterisch anderen gegenüber, um ihre eigenen Ziele zu verwirklichen.
  • Unangemessen starke Reaktionen auf jegliche Art von Kritik und Kränkung, wobei eine Kränkung für sie alles sein kann, was von ihrem eigenen Weltbild abweicht. Diese Reaktion resultiert aus ihrem eigentlich sehr schwachen Selbstwertgefühl, das Narzissten versuchen, vor sich selbst und vor anderen zu verstecken. Kritiker werden als “Feind” eingestuft und gedemütigt, erniedrigt und als Versager behandelt.
  • Anspruchsdenken: die übertriebene Erwartung, dass andere ihn begünstigt behandeln und unterstützen.
  • Glaube an die eigene Einzigartigkeit. Dabei gehen sie davon aus, dass sie nur von anderen ebenfalls besonderen Personen verstanden werden können, vor allem wenn diese einen hohen sozialen Status besitzen. Im Betrieb zeigt sich dies, indem sie Vorgesetzte besonders beeindrucken wollen und sich bei diesen einschmeicheln.
  • Die Neigung zu Arroganz und Selbstgefälligkeit.
  • Ein ständiges Streben nach Macht und Status, um das eigene Bedürfnis nach Bewunderung und Anerkennung zu stillen.

Narzissten ziehen gerne ihre Vorteile aus den Leistungen anderer und ernten deren Lorbeeren. Dies kann so weit gehen, dass sie die Leistungen von Mitarbeitern abwerten, um ihre eigenen in den Vordergrund zu bringen. Sie nehmen außerdem die Hilfe und Leistungen anderer als selbstverständlich hin, das heißt sie geben selten etwas zurück, nicht einmal Lob oder Dankbarkeit. Zusätzlich erwarten sie Folgsamkeit, Unterwürfigkeit und absolute Zustimmung von ihren Mitarbeitern. Bei dem kleinsten Anzeichen von Kritik kann die Stimmung von sehr freundlich und anerkennend sehr schnell auf verächtlich, abwertend und auch aggressiv umschlagen. Sie verhalten sich herrisch, versuchen Mitarbeiter zu manipulieren und zu kontrollieren. Aufgrund dieser Verhaltensweise leben Mitarbeiter oft in ständiger Angst vor den Stimmungen ihres Vorgesetzten. Das Betriebsklima ist angespannt und alle sind darauf bedacht, es dem narzisstischen Chef Recht zu machen, um negative Reaktionen nach Möglichkeit zu vermeiden und nicht als Sündenbock für etwaige Probleme herhalten zu müssen.

Die Ursache für ihr Verhalten liegt in einer grundlegenden Störung ihres Selbstwertgefühls, genauer gesagt: Narzissten fühlen sich oft minderwertig und unsicher im Umgang mit anderen und kompensieren dies durch den Glauben an ihre eigene Großartigkeit und das Erlangen von Zuwendung und Anerkennung. Sie entwickeln darüber allerdings keine Reflektion, da sie nie gelernt haben, ihre Gefühle unabhängig von der Anerkennung anderer wahrzunehmen. Stattdessen versuchen sie, so zu sein wie sie bei anderen am besten ankommen. Sie streben ständig danach von anderen anerkannt und bewundert zu werden, weil sie sich ihrer eigenen Bedürfnisse nicht bewusst sind. Somit können sie keine konstanten sozialen Beziehungen aufbauen, da ihr Ziel nie die aufrichtige Nähe zu anderen ist, sondern nur deren Aufmerksamkeit. Dabei sind sie so auf sich selbst konzentriert, dass es unmöglich für sie wird, andere Personen in ihrem Umfeld als gleichwertig zu akzeptieren. Andere Menschen sind für sie nur Mittel zum Zweck, sie sind nur dafür da, ihnen die Bewunderung und besondere Behandlung darzubringen, die sie ihrer Meinung verdienen und außerdem benötigen um sich selbst von ihrer inneren Leere und Unsicherheit abzulenken.

Warum sind Narzissten so häufig Vorgesetzte?

Narzissten haben häufig hochrangige und angesehene Positionen inne, zum Beispiel in der Politik, als Arzt, Strategieberater oder in der Funktion als Manager oder Führungskraft. Aber auch unter Künstlern trifft man Narzissten, weil sie sich gerade dort als besonders einzigartig inszenieren können. Sie sind meistens sehr gut darin, ihre Ziele zu erreichen und haben einige wertvolle Eigenschaften, die ihnen dabei behilflich sind:

  • Auf den ersten Eindruck, der oft auch etwas länger währen kann, wirken sie extrovertiert, charmant und strahlen häufig ein gewisses Charisma aus. Gleichzeitig sind sie sehr geübt darin, andere zu begeistern und mitzureißen, was sie sehr attraktiv für eine Führungsposition macht.
  • Aufgrund ihres nach außen hin starkem Selbstbewusstsein strahlen sie eine hohe Kompetenz aus und haben ein Talent darin sehr schnell zu erfassen, was von ihnen erwartet wird, da ihr großes Ziel Bewunderung ist. Damit beeindrucken sie in Bewerbungssituationen und punkten bei Vorgesetzten.
  • Sie besitzen eine außerordentlich hohe Motivation aufzusteigen, weil sie nach Erfolg und Prestige streben. Erfolg ist wie ein Suchtmittel für sie, was bedeutet, dass sie alles geben, um erfolgreich zu sein.
  • Durch ihre fehlende Empathiefähigkeit haben sie wenig Skrupel andere für ihre Zwecke auszunutzen, um ihr eigenes Ziel zu erreichen. Zusätzlich fällt es ihnen deshalb leichter, radikale Änderungen im Betrieb vorzunehmen, was sie wiederum attraktiv für eine Führungsposition oder eine Beratungsfunktion macht.

Im Allgemeinen sind Narzissten Meister darin, anderen genau das zu geben, was sie erwarten und voraussichtlich bewundert werden, besonders auf den ersten Eindruck. Dies ist natürlich sehr förderlich für einen beruflichen Aufstieg. Eine Studie der University of Ohio bestätigte dies, indem sie zeigte, dass Teilnehmer, die sich als besonders selbst- und machtbewusst auszeichneten und am stärksten nach einer Führungsposition strebten, auch von anderen Teilnehmern mehr als Führungskraft angesehen und akzeptiert wurden.

Was kann man tun, wenn man unter einem narzisstischen Vorgesetzten arbeiten muss?

Die Zusammenarbeit mit einem Narzissten ist eine enorme emotionale Belastung.

Einige Methoden um sich den Arbeitsalltag mit einem narzisstischen Chef zu erleichtern sind:

  • Bewahren Sie Ruhe und emotionalen Abstand. Nehmen Sie die Ausbrüche Ihres Vorgesetzten nicht persönlich und machen Sie sich immer wieder klar, dass Sie es wahrscheinlich mit einer kranken Persönlichkeitsstruktur zu tun haben. Verlieren Sie nie die Fassung und verdeutlichen Sie sich immer wieder Ihre eigene Kompetenz. Mit einem Narzissten kann man nicht diskutieren. Er beansprucht für sich, immer Recht zu haben.
  • Lesen Sie Literatur zum Thema Narzissmus, um die Beweggründe hinter dem Verhalten ihres Vorgesetzten besser verstehen zu lernen. Er versucht damit, die eigene sehr starke und tiefliegende Unsicherheit im Umgang mit anderen zu verstecken. Gleichzeitig kompensiert er damit sein geringes Selbstwertgefühl.
  • Verlieren Sie nicht Ihr Selbstvertrauen. Suchen Sie sich gegebenenfalls Hilfe bei einem Coach, der sich mit Narzissten am Arbeitsplatz auskennt. Und denken Sie daran: Ist ihr Selbstwertgefühl erst einmal stark geschwächt, ist es für Sie noch schwieriger mit der Situation umzugehen.
  • Springen Sie über Ihren eigenen Schatten. Geben Sie ihm die Anerkennung, die er so dringend möchte und vermeiden Sie möglichst alle Kritik um das Klima zu verbessern. Bleiben Sie immer höflich und respektvoll. Erwarten Sie jedoch nicht das gleiche von ihrem Vorgesetzten.
  • Dokumentieren Sie regelmäßig, was Ihnen widerfährt, um es so mit Distanz betrachten zu können und so die emotionale Belastung zu minimieren. Gleichzeitig kann es hilfreich sein, eigene Arbeit und Leistungen zu dokumentieren, um diese gegebenenfalls nachweisen oder Schuldzuweisungen vermeiden zu können.
  • Kennen Sie Ihre eigenen Grenzen. Der Arbeitsalltag mit einem narzisstischen Vorgesetzten ist nie einfach. Wenn Sie sich nicht wohlfühlen und ihr Selbstwertgefühl dauerhaft leidet, sollten Sie sich anderweitig nach einem Job umsehen und kündigen, um Ihre Gesundheit und Ihr emotionales Wohlbefinden aufrecht zu erhalten.